Enttäuschende "Winterreise" im Bergwerk
Schubert-Konzert überzeugte nicht / Sänger Puttkamer gesundheitlich angegriffen

      
Von Udo Stephan Köhne

Minden (usk). Franz Schuberts "Winterreise" kann im Idealfall ein bewusstseinserweiterndes Erlebnis sein. Im Besucherbergwerk Kleinenbremen aber war es das dieses Mal nicht.

Denn die Lust auf das großartigste, was die Gattung "Kunstlied" im neunzehnten Jahrhundert erschaffen hat, war zunächst durch die Ansage gebremst worden, der Sänger sei erkältet. Das an sich wäre noch kein Unglück gewesen. Professionelle Sänger nämlich wissen, was sie ihrem Publikum zumuten können, sind auch gesundheitlich geschwächt bisweilen zu Großem fähig.

Aber Burkhard von Puttkamer und Andr²as Vermesy zeigten in dieser Hinsicht weder Größe noch Professio- nalität. Sie zogen die "Winterreise" erbarmungslos durch, obwohl der Sänger von Anfang an heiser und angestrengt klang und spätestens ab der Hälfte des Schubert-Zyklusses nur noch mit den Resten seiner Stimme sang. Warum also nicht absagen oder Ersatz bestellen, wie es ein ernsthaft arbeitender Veranstalter bei einem Eintrittspreis von 38 Euro getan hätte? (Zum Vergleich: Ein Liederabend Thomas Hampson in der Kölner Philharmonie kostet in der höchsten Preisgruppe 31 Euro).

Eindringliche Bilder blieben verwehrt

Oder wäre auch bei optimaler Interpretenform nur Hausmannskost zu erwarten gewesen? Nimmt man die immerhin redlichen Bemühungen des Pianisten zum Maßstab, muss man es befürchten. Die waren nämlich über weite Strecken uninspiriert (Tiefpunkt Nr.16). Und so war diese "Winterreise" in erster Linie vergeudete Zeit.

Die auch nicht durch die tatsächlich großartige, andrerseits nicht wirklich integrierte Kulisse verkürzt werden konnte, die nach einer Art Zufallsprinzip wechselweise hell und dunkel erstrahlte. Am Ende war eines immerhin klar: Schuberts "Winterreise" braucht kein Besucherbergwerk, keine auch sonst wie geartete Inszenierung, um Wirkung zu entfalten. Sie benötigt vielmehr zwei Künstler, die dem Werkanspruch an- nähernd gerecht werden können. Die in der Lage sind, durch gestalterische Eindringlichkeit Bilder vor dem inneren Auge des Zuhörers entstehen zu lassen. Im Besucherbergwerk Kleinenbremen waren sie nicht vorhanden.
KOMMENTAR

Schubert pur

Von Udo Stephan Köhne

"Winterreise" in Bergwerk und Antarktis, Schubert-Lieder in Schleusen und auf Dampfern. Burkhard von Puttkamer präsentiert Klassik an ungewohnten Orten und setzt auf Inspiration durch einmaliges Ambiente. Doch strahlt der Zauber der Umgebung auch auf die Interpretation der Stücke zurück? Werden gar neue Besucherschichten angesprochen und für klassische Musik gewonnen? Die Erfahrungen mit Schleuse und Bergwerk zeigen, dass zuallererst ein seriöser Interpret und ein solider Konzertsaal vonnöten sind, um Klassik zu schönster Wirkung zu bringen. Gerade das Kunstlied erfordert den intimen Raum, um mit dem Zuhörer in Dialog zu treten. Schuberts passionsähnlicher Liederzyklus braucht keine Inszenierung in einem Bergwerk, wird gar erheblich gestört durch die Umstände (Warten auf die Einfahrt und den Beginn, Kälte und Nässe). Im Gegenteil: fast wünschte man sich Richard Wagners "unsichtbare Bühne" herbei. Das viele Besucher dieses "Besondere" lieben, steht auf einem anderen Blatt. Schubert und andere gute Musik braucht das alles nicht. Sie wirkt bei gelungener Präsentation aus sich selbst heraus


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28.01.2003
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