Von Stefan Lyrath
Porta Westfalica-Kleinenbremen (Ly). Langsam rollt der grüne Wagen
auf den Parkplatz. Fast lautlos öffnet sich die Beifahrertür.
"Hallo mein Junge, wo geht’s denn hier zur Dorfstraße?",
fragt jemand aus dem Halbdunklen des Innenraums und ermuntert Mats, näher
zu kommen. "Kannst du es mir vielleicht mal auf meiner Karte
zeigen?"
Mats (11) zögert, doch der Mann hinterm Steuer wirkt freundlich.
Nichtsahnend beugt sich der Junge über den Sitz. Plötzlich greift der
Fahrer zu, zerrt das Kind ins Auto und gibt Gas. Nach wenigen Sekunden ist
alles vorbei. Niemand hat etwas bemerkt.
"Das kann überall passieren, sogar auf einem belebten
Parkplatz", sagt Rainer Lange, der den Kinderfänger zum Glück nur
gespielt hat. Lange ist Trainer des Institutes für Gewaltprävention,
Selbstbehauptung und Konflikttraining (I-GSK). An diesem Tag leitet er in
Kleinenbremen einen Kurs, durch den 27 Kinder und Jugendliche sowie eine
Mutter in Theorie und Praxis lernen sollen, sich selbst zu behaupten.
Nach der Vorführung auf dem Parkplatz neben der Sporthalle wirken einige
der Sechs- bis 15-Jährigen ziemlich geschockt. "Ich wollte euch nur
zeigen, wie schnell ihr überrumpelt werden könnt", beruhigt Lange.
Die Aktion hat Wirkung gezeigt.
In drei Schritten zur Selbstbehauptung - darum geht’s im Lehrang.
Schritt eins: "Grenzen ziehen". Kinder, so ermuntern Rainer
Lange, seine Frau Renee und die dritte Trainerin Sylvia Steinke, müssten
lernen, nein zu sagen - und zwar klipp und klar. Das fängt beim
selbstbewussten Auftreten gegenüber Erwachsenen oder Gleichaltrigen an.
"Wir üben Augenkontakt und festen Händedruck", erklärt Lange
und schärft ein: "Wer den Blick ständig gesenkt hat, begibt sich
selbst in eine Opferrolle." Schritt zwei: "Bewachen" -
quasi ein Zwischenschritt. Die Kinder überprüfen, ob der Mensch, der
ihnen zu nahe gekommen ist, das Nein auch wirklich akzeptiert.
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Falls nicht, führt an Schritt
drei kein Weg vorbei: "Verteidigung". Zunächst lernen die
Teilnehmer, Hilfe zu holen, jemanden direkt anzusprechen. Doch in äußerster
Not, womöglich in Lebensangst, müssen sie auch bereit sein, sich körperlich
zu wehren. Deshalb werden Schläge geübt, bevorzugt auf die empfindlichen
Körperstellen. Das stärkt das Selbstbewusstsein.
"Man muss Zutrauen zur
eigenen Kraft finden - auch als Mädchen", betont Lange und fügt
einschränkend hinzu: "In erster Linie geht es uns aber darum, dass
diese Verteidigung gar nicht erst nötig wird." Deutliche Körpersprache
soll den Extremfall verhindern. Ohnehin seien Schläge nichts für den
Schulhof, ermahnt der Trainer. "Dort gibt es Lehrer." So oder so
gilt jedoch: "Wehrt euch, wenn ihr angegriffen werdet - egal
wie."
Es muss nicht der Kinderfänger sein, also die schlimmste Situation für
Jungen und Mädchen. Gewalt - ob körperlich oder seelisch - erfahren
Kinder auch in der Familie, auf dem Schulhof, manche sogar im
Kindergarten. Darüber muss offen gesprochen werden, am besten mit Eltern
oder Lehrern. Auch dazu ermunterte der I-GSK- Kurs, eine gemeinsame Aktion
mit dem TuS Kleinenbremen.
Den Teilnehmern hat’s jedenfalls gefallen. 18 von ihnen erteilten ihren
Trainern anschließend die Schulnote "sehr gut". Siebenmal gab
es "gut", dreimal "befriedigend".
Wer ebenfalls lernen möchte, sich zu behaupten: Informationen bei Rainer
Lange, Telefon (0 57 22) 22 720. Das I-GSK schult auch vor Ort.
Voraussetzung ist eine ausreichend große Halle für mindestens 20
Teilnehmer.
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28.04.2004
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